Hanns Baum im Weinheimer Anzeiger am 22. April 1913

Einweihung der Hundskopfhütte

Die Bergstraßenromantik ist vom letzten Jahrhundert nicht unberührt geblieben, so sehr sie auch von den anderen Jahrhunderten geschont worden ist. Des Winzers Hoffnungsfäden zerschnitten, bittere Enttäuschungen, und wo die Rebkultur vom Gemüse- oder Beerenobstbau abgelöst ward, kam das Schlageisen nicht in Versuchung, das Gestein bisher unberührter Bergeinsamkeit anzufressen. Nur wo sich Einzelne nicht aus den eisernen Armen rücksichtsloser Not befreien konnten, legten sich Hände an das Eigentum der Väter, nicht um es zu besitzen, sondern um es zu verlieren. Wir kennen die Steinbrüche an der Bergstraße und sehen, wie mit jedem Schuß Pulver ein neues Stück Heimat verpufft wird. Die klaffenden Wunden bei Dossenheim, Schriesheim und hinter dem Wachenberg im Birkenauertal geben jedem Heimatfreund zu denken. Es ist zwecklos, über Unabänderliches zu klagen; aber notwendig ist es, für Erhaltung der Schönheiten der badischen Heimat einzutreten, damit neue Verschandelungen unserer Berge, wie die des Hegaus Basaltriesen Hohenstoffel, vermieden werden. Unsere Gebirgsvereine sind dazu berufen, der Heimat ihre Dienste zu widmen; jedes Unterorgan in seinem Gebiet, jede Ortsgruppe in ihrer Art, nach ihrem Vermögen – überwacht von der Hauptleitung ordnendem Sinn.
Wenn die Großsachsener auf ihrem Hundskopf, den sie so nennen, weil seine Form einem Hundekopfe ähnelt, eine Schutzhütte gebaut haben, so wollten sie gewiß auch damit sagen, daß es niemandem einfallen werde, dort, wo einstmals Edelmetall gefunden wurde, nach Granit zu suchen. Wie viel mehr aber haben sie sich dabei von dem Heimatgedanken leiten lassen, eine Hütte auf einen Buckel zu stellen, von dessen Kopf man eine wunderschöne Aussicht hat; eine Hütte, die in Sturm und Schnee, die bei Sonne und Sommerduft gleich freundlich zur Einkehr bereitstehe. Die junge Ortsgruppe des Odenwaldklubs Großsachsen und der Gemeinnützige Verein haben sich mit anderen Organen und hilfsbereiten Menschen zusammengetan, dieses kleine Unterkunftshaus zu bauen. Fünfzehnhundert Mark haben sie dafür ausgegeben, und die reiche Gemeinde griff in den Säckel und sagte: und wir geben euch das Holz zum Bau! Seid ihr's zufrieden? Und es nickte Friedrich Ernst, der erste Vorsitzende, und es nickte Friedrich Kunz, der zweite Vorsitzende. Und so ward das kleine freundliche Werk, weil auch andere noch mithalfen: aus Weinheim, aus Großsachsen, aus Sandhofen (von Leuten, die hier jagen!), von da und von dort. Auch auf den Odenwaldklub selbst rechnet man, damit alles schön in Ordnung komme.

Nun steht die Hütte, die Zimmermeister Eppel aus Großsachsen gebaut hat, fix und fertig da, und am Sonntag hat auf ihrem Auslugturm die deutsche Flagge geweht: schwarz-weiß-rot! Hallo! Die deutschen Farben, nicht die eines Einzelstaates, sondern die unseres deutschen Vaterlandes. Und tausend Gedanken an unser Reich stießen sich zusammen und abertausend andere flogen über das frische Grün, hinweg über das weite Land, hinüber an den deutschen Rhein, der weit hinten ein Silberband spann, hin zum Speyerer Dom, hin zu Worms, zu Luther. Droben pfiff der Sturm ein Wolkenlied; er griff kraftvoll in die Flagge, blies durch die Hemdsärmel lautenfreudiger Wandervögel und leichblüsiger Wanderfrauen; trug die Bläserklänge der Hohensachsener Dorfmusik, die uns auch durch das Tal in gleichem Schritt und Tritt geführt hatte, an einer vielköpfigen Menge vorbei nach Großsachsen hinunter, wo die Fahnen aus den Luken guckten, freute sich über den schwungvollen Gesang des Singvereins Sängerbund und machte der Sonne Platz, als Friedrich Ernst auf dem lustigen Auslug erschien und die Untenstehenden begrüßte. Aus der Rede sprach soviel Wärme, soviel Heimatliebe, daß einem das Herz im Leibe hüpfte. Es war gewiß mehr als ein eigentümlicher Zufall, daß diese Hütte zu einer Zeit entstand, wo man sich der Befreiungskriege vor hundert Jahren erinnert, und wenn Herr Ernst meinte, es möchten sich die Heimatfreunde an unseren Befreiern insofern ein Beispiel nehmen, als sie sich üben sollten im Zusammenschluß, im Zusammenhalten, so geschah das jedenfalls in der Absicht, des Odenwaldklubs notwendige und schon bestehende Einigkeit zu feiern. Sein Mahnruf an die Jugend zum Naturschutz wird so wenig verhallen, wie seine Wünsche für des Hundskopfs Schmuck und Zier. Des Redners Danksagung an alle jene Organe und Personen, die die Errichtung der Hütte möglich gemacht haben, fand in ihren Einzelheiten ein helles Echo bei jenen, die da wissen, daß sich solche Schöpfungen nicht so einfach aus dem Boden stampfen lassen. Von den guten Beziehungen Großsachsens zu Mannheim habe ich selber schon früher gesprochen: Herr Ernst fand bei Beleuchtung dieses schönen Bundes ein freundlich brennendes Licht, das in sein Herz gezogen und das so leicht nicht erlöschen wird. Die Schutzhütte wurde in die Obhut der Großherzoglichen Oberförsterei Weinheim gegeben, dessen Vorstand, Herr Wendt, den Bestrebungen des Klubs rege Teilnahme entgegenbringt. Des Hauptausschusses Vertreter, Herr Professor Kissinger (Darmstadt), offenbarte seiner Seele geheimste Tiefen und wand ein buntes Band, mit dem er Städter und Landbewohner umschlang, damit sie nahe beieinander stehen. Die Worte umschmeichelten die frische, junge Natur und die Ohren der gespannten Gäste. Sein Frisch auf! flog in die stahlblanke Luft und eilte die Bergstraße auf und ab. Im Namen der Mannheimer Wanderfreunde sprach Herr Hauptlehrer Weißer, der zu den vierhundertneunzig gehörte, die früh ausgezogen waren, um Großsachsen von ihrer Freundschaft zu überzeugen. Der Erbauer der Hütte, Herr Zimmermeister Eppel, der fünfzehn Kubikmeter Fichten- und Lärchenholz auf dem Hundskopf versägt und verhämmert hat, brachte einen poetischen, wohlgefälligen Handwerksgruß zum Ausdruck
Später gab's Volksbelustigungen für die Buben und Mädchen. Die mußten nach Würsten schnappen und mit brennenden Kerzen laufen. Im Dorf aber, bei Friedrich Ernst, setzte man sich gemütlich zusammen und feierte das Hüttenfest auf jene bekannte Art, wie sie dem Odenwaldklub zu eigen ist: einfach, schlicht – aber gediegen. Aus wacher Begeisterung heraus pries der Schreiber dieser Zeilen Großsachsens Schöpferkraft und rückte Dorf und Bewohner in ein freundliches Licht, das in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hineinstach. Des Festes Schlußakkorde klangen aus im Dreivierteltakt: Komm, liebes Mädchen, tanz mit mir, tanz mit mir …